Das Schreikind wird vier

Fernab vom wiederbelebten Kinderwunsch, wollte ich nach langer Zeit von unserem Schreikind berichten. Alles in allem hat sich das kleine Froillein gut entwickelt. In den Entwicklungsgesprächen der Kita kommt sie ausgesprochen gut weg und soll ihren Altersgenossen motorisch und kognitiv einiges voraus sein. Außerdem sei man mit ihrer sozialen Entwicklung sehr zufrieden. Sie sei hilfsbereit und würde sich an den meisten angebotenen Aktivitäten mit Begeisterung beteiligen. Auch wenn ich mich darüber freue und stolz wie Bolle bin, kann ich leider nicht alle Ansichten der Erzieher teilen. Zu Hause zeigt sich das kleene Froillein meist von einer anderen Seite. Wenn sie ihre schlechten Phasen hat, dann nimmt sich das Challenge-Level kaum etwas von ihrer Säuglingszeit. Nur mit dem kleinen, aber gewaltigen Unterschied, dass wir mittlerweile 6-8 Stunden Schlaf pro Nacht bekommen. Und das ist ein Segen! Und somit nervlich bis zu einem gewissen Grad mehr aushalten können. Wenn sie jedoch morgens um sechs schon jammernd und schimpfend aus dem (also meinem) Bett gekrochen kommt und beim Frühstück ihre Cornflakes durchs Esszimmer schmeißt und dabei Zeter und Mortio schreit, dann startet der Tag unter erschwerten Bedingungen. Umso mehr freue ich mich auf ihre Kita und meine Arbeit. In solchen Phasen sind wir mit ihr nach wie vor nicht gesellschaftsfähig. Mit ihr Einkaufen zu gehen ist der reinste Horrortrip. Also klar, kann man machen, wenn man masochistisch veranlagt ist und Aufmerksamkeit braucht…

Ein kleine Storie von letzter Woche, die für Außenstehende sicher sehr amüsant ist: Trotz meines unguten Bauchgefühls kam ich dem Bitten meiner Tochter nach und nahm sie mit zum Tierarzt. Die Katzen mussten geimpft werden und mir war die Aufgabe zu Teil, das am Abend zu erledigen. Beim Tierarzt entdeckte das Froillein als erstes ein Bonbon-Glas auf dem Tresen. Spinnenphobiker sehen jede Spinne im Raum. Kinder jede Süßigkeit. Anstatt die Süßkram-Verantwortlichkeit dem Praxispersonal zu übertragen, gab ich meiner Tochter ein Kaubonbon. Die Sprechstundenhilfe telefonierte gerade und ich wollte ein Eskalieren der Situation von vornherein vermeiden. Fehler Nummer eins! Bevor ich ihr das Bonbon hinstreckte unterstrich ich: aber nur eins! Sie quittierte, ja nur eins. Wir mussten noch im Wartezimmer Platz nehmen. Da das Froillein trotz (oder wegen?) Süßigkeit in ihre typische Aufsässigkeit verfiel, setzte ich mich zum Schutz der anderen Wartenden und Tiere möglichst weit weg. Denn kaum war das Bonbon verschwunden, sollte ich ihr ein Weiteres bringen. Diesmal in der Geschmacksrichtung Orange. Ich erklärte, wie es sich gehört, dass es nicht unsere Süßigkeiten sind und auch andere Kinder noch eins abbekommen möchten. Mein Versuch an ihre Vernunft zu appelieren scheiterte kläglich uns sie versuchte unter den Blicken der anderen Heimtierbesitzer auf eigene Faust zu ihrem Willen zu gelangen. Ich betete, dass wir bald dran kommen würden. Bis dahin schnappte ich sie mir und trug sie ins offene Wartezimmer zurück, wo ich sie versuchte mit Bandwurmbildern abzulenken. „Schau mal, und das kriecht dir dann aus dem Po, wenn du dir die Hände nicht wäschst.“ Bevor ich ihr den Zyklus des Herzwurms erklären konnte, wurden wir aufgerufen. Dem Tierarzt zollte sie Respekt und ließ sich auf sein Angebot ein, statt eines Kaubonbons lieber eine Plastikspritze anzunehmen. Die Freude über das Geschenk währte nur kurz. Zurück am Tresen, fing die Bettelei von Neuem an. Ich musste jedoch bezahlen und konnte mich nur bedingt meiner Tochter widmen. Das nutzte sie aus und sprang am Tresen hoch, um sich selbst am Süßkramglas zu bedienen. Dies schwankte bedrohlich und drohte runter zu fallen. Beim zweiten Versuch am Tresen hochzuspringen, versuchte ich ihr durch Festhalten Einhalt zu gebieten. Dabei traf sie mich mit ihrem Kopf so heftig am Kinn, dass ich kurz glaubte, in Ohnmacht zu fallen. Mein Kiefergelenk hatte sich Richtung Ohr geschoben und ich hörte kurz nichts. „Zum Glück“ hatte sie sich selbst am Kopf weh getan, wodurch sie ihren Plan das Bonbon-Glas zu räubern, vergaß. So konnte ich mich darauf konzentrieren, nicht in Tränen auszubrechen und zu bezahlen. Dann sprühte ich noch schnell das Vergiss-mich-Spray auf die Zuschauer meines mütterlichen Versagens und verließ die Praxis. … Der letzte Satz war leider gelogen….

Im Auto habe ich sehr viel geschrien und geheult. Es dauerte auch noch ein paar Tage, bis mein Oberkiefer wieder passgenau auf meinem Unterkiefer stand. Ich habe schon viele unangenehme Situationen mit dem Froillein erlebt. Wie sie mit zwei Jahren das Haus unserer Freunde in Chicago demolierte; das Seifenblasenwasser eines Clowns auskippte; bis zur Garderobe der Artisten eines Zirkus vordrang; beim McDonalds den Selbstbedienungstresen vollkotzte; einen Fremden mit dem Ketchup ihrer Bratwurst beschmierte; nackig im Freibad unter den rollenden Augen der Wessi-Mütter vor mir und ihrem Schlüpfer davon rannte…..aber die Tierarztgeschichte hatte eine ganz besondere Dimension. Da war wirklich alles mit dabei: Schreien, auf den Boden schmeißen, freche Sprüche, über meine Ansagen lachen und mich schließlich -wenn auch nicht beabsichtigt- fast niederstrecken.

Und dann hat sie wieder diese wunderbaren Phasen. Da fabuliert sie von ihrer imaginären Schwester, erzählt die witzigsten Geschichten, knuddelt und drückt mich unvermittelt und voller inbrunst und sagt, ich wäre die beste Mama der Welt. Dann wird mir einfach bewusst, dass nur sie es schaffen konnte, unser Kind zu werden. Nur sie hatte genug Power und Lebenswillen, sich den ungünstigen Bedingungen zu stellen und sie einfach zu überwältigen. Nur sie 🙂

 

4 thoughts on “Das Schreikind wird vier”

  1. Liebe Frauenbauch, unser Tierchen war auch ein Schreikind….willkommen im Club, allerdings ist sie jetzt relativ „pflegeleicht“, aber das erste Jahr war überkrass. Jetzt üben wir übrigens auch für Nummer zwei, hat aber leider nicht eingeschlagen…sind seid nem Jahr ca. dra….aber es ist halt auch kompliziert…Viel Glück!!

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