Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Schreikind

Unfassbar, ich finde ein paar Minuten der Freihändigkeit und Stille, um an meinem Blog zu schreiben! Das ist selten geworden in letzter Zeit. Unser Kind ist nun beinahe 7 Wochen alt und denkt noch gar nicht daran das Schreien einzustellen. Wir haben uns durch die gängige Elternliteratur nach Erklärungsversuchen gewühlt. Mein Mann steht dann plötzlich im Zimmer, während ich das untröstliche Kind in meinen Armen wiege, und hat jede Woche eine neue Begründung für ihr Schreien gefunden. In Woche eins waren es die Koliken, also massierten wir ihren Bauch. In Woche zwei waren die Blockaden die Übeltäter und ich machte einen Termin beim Osteopathen. In Woche drei war es das schwüle Wetter, was ihr vermeintlich den Schlaf raubte und sie grantig machte, wogegen wir herzlich wenig auszurichten vermochten. In Woche vier glaubte er mit den vielen Eindrücken, die sie überfordern eine Erklärung gefunden zu haben, weshalb wir versuchten, sie häufiger ins Tragetuch zu stecken. In der 5. Woche kam mein Mann auf die Idee, die Kleine könnte nicht satt werden, also gab ich ihr vorübergehend zwei Brüste pro Mahlzeit. In Woche sechs kauften wir ihr eine Hängematte, da die Stimulation des Gleichgewichtssinns dazu beitragen soll, das Kind zu beruhigen. Nun sind wir in der siebten Woche angelangt und kehren zurück zu den Ursprüngen: Laut meines Mannes sind es doch Koliken. Nun haben wir Blähungszäpfchen von Wala und Kümmelöl mit denen wir den quälenden Gasen den Kampf ansagen wollen.

Von Drei-Monats-Koliken zu sprechen, ist dabei eine galante Bezeichnung, da jedes Kind pupst und die Ursache somit schnell gefunden ist und Koliken ja auch etwas sind, die tief verborgen im Inneren des Kindes vor sich gehen. In Wirklichkeit ist es wohl ganz einfach so, dass es für das Schreien keinen Grund gibt. So steht es auch in den meisten Ratgebern zum Thema Schreikinder. Doch gerade mit dieser Grundlosigkeit, die in gewissen Maße auch ein Ausgeliefertsein in sich birgt, will sich so recht keiner abfinden. Der erste Weg -und so ist es ja auch richtig, führt die meisten Eltern zum Kinderarzt. So wie das Kleine schreit, muss es doch Schmerzen haben. Der kennt das schon, macht den Klopftest, aus dem Bauch klingt es hohl und dumpf, wie aus einer reifen Melone. Um die Eltern ruhig zu stellen, verschreibt der Arzt einen Entschäumer (Lefax, Espumisan, SabSimplex usw), denn auch er weiß, dass Eltern vorallem eins wollen: was tun können! Genauso sind Eltern halt heutzutage: gibt es ein Problem, muss eine Lösung her. Kommt das Kind in der Schule nicht mit, wird es halt mit Nachhilfe behandelt bis der Kopf platzt. Vielleicht können wir aus der Schreiphase unserer Kinder jedoch auch etwas anderes lernen. Manche Dinge müssen wir einfach akzeptieren. Das Kind schreit nun mal, weil es vielleicht gerne schreit, weil es irgendwie zu unserem Kind gehört. Da Erwachsene mit Schreien immer Schmerz und Qual verbinden, ist es schwer das Schreien hinzunehmen und sich nicht schuldig zu fühlen. Doch mal im Ernst, wir haben alles erdenkliche getan, damit es unserem Kind gut geht. Es gestillt, gewindelt, im Arm gewogen, ihm etwas vorgesungen, sind mit ihm den Walzer durch die Wohnung getanzt. Als erstes ist es wohl einfach unabdingbar, sich von jeglicher Schuld freizusprechen. Und möglicherweise trägt die eigene Entspannung dazu bei, die ständige Rückkopplung zwischen genervten Kind und genervten Erwachsenen zu unterbrechen. Ansonsten habe ich vor ein paar Tagen begonnen, ein Schreitagebuch zu führen. Im Buch „Babyjahre“ von Remo H. Largo ist ein Vordruck eines solchen Wochenplans drin. Nachdem ihr jeden Tag die Schrei- Wach- und Schlafphasen eures Kindes eingetragen habt, könnt ihr ersehen, wie häufig das Kind tatsächlich schreit. Damit könnt ihr außerdem schauen, ob sich bereits ein Tagesrythmus beim Kind eingestellt hat. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass ihr die guten Tage schwarz auf weiß gebannt vor euch liegen habt, euch dieser erinnert und vielleicht schon Licht am Ende des Tunnels seht. Mir fällt nun auf, dass die Kleine immer häufiger wach ist, ohne zu schreien. Sich solcher Momente zu entsinnen, wie sie einen dann anlächelt, quiekt und quakt, hilft ungemein die abendlichen Schreistunden zu überstehen.

Anhand des Schreitagebuchs wird auch ersichtlich, wieviel das Kind schläft. Angeblich sollen Säuglinge diesen Alters an die 18 Stunden pro Tag schlafen. Wir sind meist bei 13, maximal 15 Stunden. Da die Kleine zu wenig schläft, kommt sie häufig in einen Zustand der Übermüdung. Gerade gegen Abend, wenn das Schlafdefizit am höchsten ist, schreit sie sich dermaßen in Rage, dass sie wiederum nicht einschlafen kann. Mein Plan lautet daher, Schreien durch mehr Schlaf reduzieren.

Als kleine Anregung und auf dem Weg zur Erkenntnis, dass eigentlich nichts hilft, eine Liste unserer Versuche und Verzweiflungstaten und -käufe das Kind zu beruhigen:

  • SabSimplex kaufte ich auf Empfehlung unserer Kinderärztin. Das Resultat war, dass sich die Stuhlgangzeiten unserer Kleinen in die Nacht verlagerten und sie schlechter denn je schlief. Nach fünf Tagen setzten wir das Zeug wieder ab und haben seitdem Nachts nur noch Pipi-Windeln.
  • Osteopathie. Eine Blockade im Hals-Nackenbereich hielt ich aufgrund der langen Geburt mit feststeckender Schulter für wahrscheinlich und als Ursache für Babys Übellaunigkeit. Tatsächlich stellte der Osteopath Verspannungen in der Schulter und im Hals fest. Nach der zweiten Sitzung waren diese angeblich auch gelöst. Eine Verbesserung der Schreianfälle konnten wir nicht verzeichnen, dafür trank die Kleine gleich nach der ersten Behandlung besser an der Brust.
  • Fenchel-Anis-Kümmel-Tee für die Mama. Seitdem sie auf der Welt ist, bekommt sie das Gebräu indirekt über die Milch, ob die Blähungen ohne Tee schlimmer wären, kann ich also nicht beurteilen.
  • Ernährung. Bis auf Zwiebeln, da ich das Zeug einfach nicht mag, esse ich wieder alles. Wer sich ein wenig über Schreikinder und die angeblichen Drei-Monats-Koliken belist, wird bald auch wieder ohne Schuldgefühle Bohnen essen.
  • Tragetuch. Das war für uns in den vergangenen Wochen oft die letzte Rettung. Im Tuch wird sie ruhig und sackt nach wenigen Schritten schlafend in  sich zusammen. Laut Largo sollen Kinder mindestens drei Stunden am Tag getragen werden, damit die Schreiphase um ein paar Wochen verkürzt wird. Mittlerweile ist das Tuch jedoch nur noch ein Garant für guten Schlaf, wenn sich der Tragende bewegt. Der Vorteil ist, dass man auf diese Weise die Hände frei hat und wenigstens ein paar Dinge im Haushalt schafft.
  • Kinderwagen. Anfangs funktionierte die Fahrt über das Ostdeutsche-Hubbel-Pflaster noch ganz wunderbar. Jetzt können wir uns aber auch auf die einschläfernde Wirkung der hiesigen Huckelpisten auch nicht mehr verlassen und müssen es in Kauf nehmen mit schreienden Kind im Wagen durch die Gegend zu rennen. Böse Blicke älterer Damen und der kalte Schweiß im Nacken inklusive.
  • Verdunklungsrollos. Eine Investition die sich bisher ausgezahlt zu haben scheint. Seitdem es im Schlafzimmer auch morgens noch dämmrig ist, steht Madame nicht schon mit den Lerchen auf. Wer länger als bis fünf schlafen kann, hat auch mehr Kraft den Tag zu bewältigen und steckt die Schreistunden besser weg.
  • Hängematte. Das war mein Traum: Kind in die Matte legen, ein wenig schaukeln und schon fallen die Äuglein zu. Die Realität sieht leider anders aus. Manchmal lässt sie sich damit beruhigen. Die Verschnaufpause hält jedoch nur wenige Minuten an, danach geht es munter weiter. Außerdem wird das Kind von unten in einer Hängematte schnell kalt, wenn man nicht die entsprechenden Auflagen mit erworben hat.
  • Schaukelstuhl. Der gute alte Schaukelstuhl tuts noch am besten und ist meine Geheimwaffe für den Abend. Wenigstens muss man dann nicht die ganze Zeit stehen und rumlaufen.
  • Schnuller. Wir sind nun auch stolze Besitzer einer gigantischen Nuckelsammlung jeglicher Größen und Formen, die von unserem Kind allesamt kategorisch abgelehnt werden. Vielleicht sollte ich meinen Nippel in Kautschuk gießen lassen, denn nur an denen kann sie sich in den Schlaf saugen.
  • Mal so, mal anders. Manche Dinge, die an einem Tag nichts gebracht haben, führen plötzlich am nächsten Tag zum Erfolg…und leider auch umgekehrt. Es gibt Abende da lieg ich mit dem schreienden Kind im Bett, nehme sie nach dem Stillen in den Arm, singe ihr „Der Mond ist aufgegangen“ vor und wiege sie ein wenig hin und her und schon schläft sie ein. Tags darauf hilft das alles nichts und sie lässt sich nur mit Brust im Mund beruhigen.

Also weiterhin Zähne zusammen beißen und durchhalten!

 

5 thoughts on “Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Schreikind”

  1. Ich lese gerade eins zu eins unsere Geschichte!!! Die kleine Lady war auch ein sogenanntes „Schreikind“ und alle eurer Punkte, tatsächlich alle trafen auch auf uns zu! Vor allem Thema Tragetuch, Schlafen und Schnuller 🙂 allerdings waren meine Gedanken zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht so geordnet wie deine. Hut ab! Das Tagebuch und die Art wie ihr mit der Situation umgeht finde ich klasse! Und tatsächlich endete bei uns das Drama nach drei Monaten… ok es endete nicht, aber es wurde seeeeeehr viel besser 😉 Bei all der wilden See… es ist Land in Sicht 🙂 LG Nadja

  2. Wie geht es euch mittlerweile? Lese gerade deinen Beitrag, weil ich am Ende meiner Nerven bin. Unser Sohn ist mittlerweile 17 Wochen und schreit noch immer wie ein Weltmeister 🙁 bin inzwischen kurz davor, mich bei der Schreiambulanz zu melden. Wie du beschreibst gelingen Beruhigungsversuche mal, mal wieder nicht. Es gibt im Vergleich zum Anfang auch mal richtig gute Tage, aber die geraten in Vergessenheit, wenn er dann wieder ohne Grund Stunden lang an vielen Tagen hintereinander wie am Spieß schreit. Immerwieder dann von einem Wachstumsschub zu lesen oder von möglichen Bauchschmerzen zu hören, macht mich inzwischen wirklich wütend. Er hat schon seit er 2 Wochen ist jeden Tag anscheindend Bauchschmerzen und befindet sich seitdem auch im Wachstumsschub?! Nein bestimmt nicht. Und es ist ja immer so leicht gesagt, man müsse einfach als Mutter gelassen bleiben, um das Kind zu beruhigen. Nunja wenn der Schreihals aber nach einer kurzen Nacht so schrill schreit und sich überhaupt nicht beruhigt, ist auch mein wirklich langer Geduldsfaden zu kurz. Ich werde innerlich dann echt wütend auf den Kleinen, was mich zugleich traurig macht, weil er ja nichts dafür kann. Nach 17 Wochen ohne annähernd gescheiten Schlaf liegen die Nerven einfach blank 🙁

    1. Hallo!
      Ja, wenn die Nächte schlecht sind, lässt sich das Geschrei am Tag kaum aushalten. In dieser Situation Wut zu bekommen und Verzweifelt zu sein, ist völlig normal. Bei uns wurde es bis zur 6. Woche immer schlimmer, dann bis zur 12. Woche spürbar besser. Vorallem die Nächte sind im Großen und Ganzen gut bis wunderbar. Nur diese Übellaunigkeit, das Quengeln und Schreien hat sich seit der 12. Woche kaum mehr gebessert. Sie braucht rund um die Uhr Bespaßung und Zuwendung. Dann ist sie 30 Minuten gut drauf, danach kippt die Stimmung, sie muss getragen und geschuckelt werden. Sobald ein bestimmter Punkt überschritten ist, schreit sie, macht die Augen zu und ich komm kaum noch an sie ran. Das ist spätestens der Moment, in dem auch ich innerlich Verzweifel. Alle haben gesagt, nach dem dritten Monat wird alles besser…von wegen. Nun bin ich ja mit ihr in der Tagesklinik und hoffe dort, Hilfe zu bekommen. Ich weiß nicht, ob es solche Möglichkeiten bei dir in der Nähe gibt. Vielleicht wäre die Schreiambulanz eine gute erste Anlaufstelle. Lass dir helfen, bevor du und/oder dein Kind langfristige Schäden davon tragen. Ich wünsch dir alles Gute 🙂 du bist nicht allein!!!

  3. Liebe Leidensgenossen 😉
    inzwischen ist viel Zeit vergangen und mich interessiert brennend wie es bei euch weiter gegangen ist. Denn auch mein Alltag (-nacht) ist vom ständigen Schreien unserer 7Wochen alten Tochter geprägt. Und eure Beschreibungen passen ebenfalls haargenau auf unsere täglichen Maßnahmen.
    Inzwischen schläft die Kleine meist in der Trage oder nachts auf meinem Bauch, so kann ich auch etwas dösen.
    Vielleicht könnt ihr mir weiterhelfen. Vielen lieben Dank.
    Denise

    1. Hallo Denise! Ich würde dir gerne weiterhelfen, leider gibt es da nicht viel, was ihr machen könnt. Einfach durchhalten, irgendwie. Denk an die tolle Zeit, die kommen wird, wenn sich dein Kind anders mitteilen kann. Und dann wird dich so schnell nichts mehr erschüttern können 😉 alles Gute!

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