Die Raupe

Ein „Souvenir“ der besonderen Art hat sich das kleene Froillein aus Sardinien mitgebracht: Wir nennen es die Raupe. Eigentlich habe ich diese originelle Form der Selbstregulation bereits vor vielen Monaten beobachtet. Damals hatte ich das kleene Froillein gerade zu Bett gebracht. Allen guten Ratschlägen von Kinderärzten und Erziehern zum Trotz, drehte sie sich prompt auf den Bauch und fing sogleich an raupenartige Bewegungen durchzuführen. Kurz leugnete ich noch meinen Verdacht. Die eigenen Eltern und Kinder haben schließlich kein Sexualleben. Nein, nein, nein! Doch als sie dann so verdächtig begann zu atmen, war mir klar, das Baby hat gerade eine nette Methode zum Einschlafen gefunden. Na, wenns hilft. Und so verließ ich das Zimmer in der Hoffnung, dass mein Kind von nun an immer sofort ein- und die Nacht durchschläft. In Wirklichkeit hatte sie ein paar Tage später wohl schon wieder vergessen, wie sie sich selbst in den Schlaf raupen kann. Erst auf Sardinien hat sie ihre Raupe wiedergefunden. Dort wurde uns vom Vermieter unserer Ferienwohnung ein Hochstuhl zur Verfügung gestellt, der am Tisch festgeschraubt wird. In diesem Hochstuhl rutschte das Froillein jedoch recht weit nach vorn….und seit dem wird jede Mahlzeit von einer kleinen Raupe Nimmersatt begleitet. Als wohl informierte, aufgeklärte Mutter weiß ich, dass das ja vööööööööööllig normal ist und wir keinesfalls darauf eingehen sollen. Einfach machen lassen. Aber es ist echt total nervig! Eine Zeit lang hat sie sogar das Essen verschmäht, weil sie besseres zu tun hatte. Bei der letzten Impfung habe ich die Kinderärztin darauf angesprochen. Die fand das wahnsinnig komisch, wie wir so am Frühstückstisch sitzen…Ja, ist es ja auch…irgendwie. Nur mit dem Unterschied, dass wir als Eltern nicht darüber lachen dürfen. Das könnte ja tiefgreifende Schäden verursachen. Wahrscheinlich wird es so enden, dass ich den vierten Hochstuhl kaufe. Diesmal einen ohne Halterung zwischen den Beinen.

Im Internet gibt es etliche Foren-Einträge, in denen besorgte Mütter von den Selbstbefri***ungsaktionen ihrer Kinder berichten. Dabei fällt auf, dass es bei Mädchen wohl als besonders „schlimm“ empfunden wird, wenn sie es tun und das nicht am Esstisch. Manche Mütter haben Angst, ihre Töchter könnten süchtig danach sein und nicht genug Schlaf bekommen. Woran liegt es, dass Masturbation bei Jungs und Männern scheinbar mehr akzeptiert wird? Obwohl sich unsere Generation für unglaublich aufgeklärt und lässig hält, habe ich doch sehr viele weibliche Bekannte, die zwar allesamt einen Dildo in der Nachttischschublade liegen haben, mit dem Thema aber letztlich nichts anfangen können. Ohne Partner geht bei denen nix. Ich war immer dankbar, dass ich sehr gut mit mir selbst auskommen kann. Das hat mich über die vielen einsamen Jahre meiner Pubertät hinweg getröstet, als ich gerne einen Freund mit allem drum und dran gehabt hätte, die Typen aber nur am dran interessiert waren und nicht am drumherum.

Tatsächlich hat sich die Wissenschaft auch diesem Thema gewidmet. In einer Studie aus dem Jahr 1991 wurden zwei verschiedene Gruppen Frauen untersucht. In der einen befanden sich Frauen, die masturbieren und dadurch auch einen Orgasmus erlangen. Die andere Gruppe bestand aus Frauen, die noch nie einen Orgasmus durch Masturbation erreicht hatten. Die Masturbations-Frauen hatten mehr Orgasmen, ein größeres sexuellen Verlangens, mehr Selbstvertrauens, brauchten weniger Zeit bis zur Erregung und waren sexuell Befriedigt.

Das sind ja mal schöne Nachrichten, auch wenn es aus dem Jahr 1991 nicht die neuesten sind. Merkwürdig hingegen ist, was ich zur infantilen Masturbation gefunden habe: Da widmen sich viele wissenschaftliche Studien auch aus neuerer Zeit der Differenzialdiagnostik zwischen epileptischen Anfällen und Masturbation bei Kindern. „Masturbationsanfälle“ oder auch „Grafication disorder“ haben vielen Eltern und Kinderärzten schlaflose Nächte bereitet. Dabei kommt es beim Kind zu folgenden „Symptomen“: Zusammenpressen von Beinen, Gesichtsröte, vor sich hinstarren, Stöhnen, Nichtansprechbarkeit. Häufig wird dieses „Krankheitsbild“ bei Mädchen im Säuglingsalter beobachtet. Dass ein völlig normaler Zustand pathologisiert wird und sogar seinen eigenen Gruselnamen bekommen hat, ist beispielhaft für die Verleugnung der Sexualität unserer Kinder. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass eines Tages wohl ein pickeliger Teenager in Boxershorts aus dem Zimmer unserer Tochter kommen wird und fragt, ob noch was zu essen da ist.

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