Der schwangere Mann

Heute morgen hat es auf dem Flur verdächtig geraschelt. Trotzdem habe ich mich noch einmal auf die Seite gerollt und eine letzte halbe Stunde in den warmen Federn genossen. Nach dem Aufstehen blieb mein Blick sofort auf dem Schuhregal haften. Auch ohne geputzte Schuhe waren die Stiefel randvoll mit Schoki gefüllt und dieses Jahr scheint der Nikolaus den Buchhandel unterstützen zu wollen, denn wir haben beide ein Buch zum Thema Schwangerschaft geschenkt bekommen! Während es für mich die obligatorische „Hebammensprechstunde“ von der guten Ingeborg Stadelmann gegeben hat, bekam mein Mann das „Papa-Handbuch“ von GU. Daran hat sogar ein Herr Doktor mitgeschrieben.

Mein erster Eindruck des Papa-Handbuchs ist ganz zufriedenstellend. Es scheint sehr männerfreundlich mit vielen Listen und Kästchen aufgebaut zu sein und widmet sich chronologisch Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und dem ersten Jahr mit Kind. Wirklich übersichtlich und nicht erschreckend umfangreich. Von der Dicke beträgt es vielleicht einem Viertel der Hebammensprechstunde. Damit kann man weder Einbrecher noch lesefaule Männer in die Flucht schlagen. Es erfüllt somit vollkommen seinen Zweck! Soweit ich das bisher überblicken konnte, wird an etlichen Stellen auch auf die Gefühlslage des im werden begriffenen Vaters und Veränderungen innerhalb der Beziehung eingegangen. Die co-schwangeren Herren bekommen darin sogar kleine Tipps, wie man „richtig“ Kommuniziert. Fraglich bleibt, wie der Lesende dies in der Praxis umsetzen wird… 

Ein Kritikpunkt ist mir beim Überfliegen der Kapitel allerdings aufgefallen: Als es um das Thema Geburt geht…also die richtige Geburt mit Wehen, Kotze, Blut und Kacke…da hab ich bisher (!) noch keinen Satz darüber gefunden, dass es durchaus in Ordnung ist, sich als Mann bei der Geburt des eigenen Kindes nicht im selben Raum aufzuhalten. Ich finde, die Entscheidung gegen die übliche Papa-wird-involviert-Geburt ist mittlerweile zum Tabuthema geworden. Männern, die sich von vornherein gegen eine dauernde Anwesenheit im Kreißsaal entscheiden, werden gleich zwei Stempel aufgedrückt: Rabenvater! Rabenpartner! Dabei kann der Zwang zum Hingucken und Aushalten mitunter schwerwiegende Konsequenzen für die Partnerschaft nach sich ziehen. Ekel und Schuldgefühle können die Folge sein. Das äußert sich mitunter in sexuellen Problemen zwischen Mann und Frau und kann mit einer Totalverweigerung des Mannes enden, um eine erneute Schwangerschaft sicher zu verhindern. Ich möchte auf keinen Fall die Kreißsaalphilosophie von vor 20, 30 Jahren propagieren, die Männer ohne Approbation obligatorisch aus den Geburtsräumen verbannt hat, und wünsche mir natürlich auch, meinen Partner zur Seite zu haben. Dennoch ist und bleibt eine Geburt ein körperlicher und emotionaler Ausnahmezustand, der ohne Rücksicht auf Ästhetik und Anstand, Kräfte und Körperflüssigkeiten freisetzt, die mitunter sehr verstörend wirken können. Ich kann mich an eine Szene aus dem Kreißsaal erinnern, da hat mir eine gebärende Frau im Vierfüßlerstand fast auf die Hand gekackt. Ihr Mann stand in bester Sicht- und Riechposition und hatte nur wenige Minuten zuvor die CD mit Mozarts Kleiner Nachtmusik in den CD-Player gelegt. In diesem Moment habe ich mich ernsthaft gefragt, wie er wohl damit umgehen würde. Sowas gehörte nicht zum alltäglichen Hebammenbetrieb und ist mir nur einmal während der Ausbildungszeit passiert. Aber das und viel mehr kann passieren. Und das sollte Mann und Frau bewusst sein. Und wie sie damit umgehen, sollten sie sich besser vorher überlegen. Auch ganz ohne inflationäre Ausscheidungen  kann es dem Mann plötzlich mitten in der Austreibungsphase den Boden unter den Füßen weg ziehen. Schließlich dauert so eine Geburt ne ganze Weile, es gibt wenig zu essen und zu trinken, die Luft im Kreißsaal ist oft stickig und verbraucht. Dann kann Papa die Nabelschnur vielleicht nicht durchschneiden, sondern wird gerade von einer Hebammenschülerin ins Diesseits zurückgeholt. Dann ist das eben so! Um uns vor allzu großen Enttäuschungen, was das Mega-Event Geburt betrifft, zu bewahren, sollten wir vielleicht mit unserem Partner über Ängst und auch Alternativen sprechen.  Das Kind wird vermutlich auch kommen, wenn Frau mit Hebamme, Schülerinnen und/oder Arzt allein ist. Ansonsten kann ja auch eine Freundin die Stellung halten, während der werdende Vater einen Spaziergang macht. Wenn wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass nicht immer alles im Hochglanzformat „aller anderen“ abläuft, dann hilft es vielleicht völlig ohne Druck zu überlegen, welche Herausforderungen wir unserer Beziehung zutrauen. Denn um die geht es. Und nicht um die anderen. 

 

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