Mein Kind, dein Kind, unser aller Kind

Der perfekte Zeitpunkt mit einer Erkältung flach zu liegen. Am Freitag wollen wir in unseren aller ersten gemeinsamen Urlaub aufbrechen. Nicht nur der erste als Familie. Auch als Paar waren mein Mann und ich noch nie im Urlaub. Zwischen Uni-Abschlüssen, Hochzeit und befristeten Arbeitsverträgen hat sich in der Tat bisher nie die Möglichkeit geboten, weg zu fahren. Vorher steht noch ein Job-Interview an. Tatsächlich scheint eines meiner blumigen Anschreiben auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Mal sehen, wie sich das Gespräch so gestalten wird. Zu allem Überfluss hat das kleine Froillein sich genau jetzt dazu entschlossen in die Zeitmaschine zu steigen und fünf Monate in die Vergangenheit zu reisen, als „Schlafen“ nur mit stündlicher Unterbrechung möglich war. Die letzten Nächte waren wieder der Horror. Kein Wunder, dass so die Rotznasen-Bazillen aus der Kita auch bei mir leichtes Spiel haben.

Also lasse ich meinen Reinigungsmontag heute einen Faulenzmontag sein und gebe mir die volle Ladung Hausfrauen-Bespaßung: „Mein Kind, dein Kind“ – das neue Reality-Format auf Vox. Dass sich selbsternannte Übermuttis aneinander messen und sich ihre Sicht der Dinge unter die Nase reiben, ist nicht unbedingt neu. Hat es ja schon alles gegeben. In dieser Sendung können wir nun jedoch einen von Vox auserwählten „Querschnitt“ der deutschen Bevölkerung dabei beobachten, wie sie von der heimischen Couch aus ihren Senf zu den gezeigten Filmausschnitten abgeben. Das ist dann schon mega meta. Noch mehr meta geht fast nicht. Damit befriedigt Vox das Bedürfnis eines Großteils unserer Gesellschaft, indem die Sendung eine Plattform schafft für all die nett gemeinten Ratschläge die man diesen ganzen unfähigen Müttern gerne um die Ohren hauen möchte. Und die Sendung beweist, sie sind wirklich durch die Bank weg unfähig. Vornehmlich natürlich in den Augen des gegenübergestellten Eltern, aber auch beim „Querschnitt“ der Bevölkerung kommt kaum ein Erziehungsstil kritiklos davon. Das bestätigt mich in meiner Annahme, dass es DEN perfekten Erziehungsstil wohl nicht gibt. Ich habe ehrlich gesagt, nicht die leiseste Ahnung von Kinder-Erziehung, kann mich des Verdachts jedoch nicht erwehren, dass es am Schluss zum Kind passen muss. Außerdem sollte man wohl jederzeit dazu bereit sein, seine heiligen Vorstellungen, Privilegien und Ideale über Bord zu werfen.

Wenn ich mir überlege, was ich mir vor einem Jahr so alles vorgenommen habe…davon ist nun nicht mehr viel übrig geblieben. Die Stoffwindeln haben es geschafft. Die weiße Baumwollkleidung, der weitestgehende Verzicht auf Plastik und das Trinken aus dem Becher-um nur einige gute Vorsätze zu nennen- mussten der Realität weichen. Direkt nach der Entbindung musste ich feststellen, dass kein einziges Kleidungsstück aus dem abgelegten Fundus meiner Neffen passte. Also habe ich meine Mutter losgeschickt, der Kronprinzessin neue Gewänder in klein zu kaufen. Sie kam vollgepackt mit H&M-Tüten deren Inhalt alles andere als hautsympatisch, fair oder ökologisch einwandfrei erschien. Aber das kleene Froillein sah grandios in den Leoparden-Leggins aus. Später musste ich außerdem feststellen, dass (intensiv) gebrauchte Babykleidung auch keine Lösung ist. Diese entwickelt unter Umständen nämlich spermatöse Gerüche, sobald sie im Sabberbereich feucht wird. Und da verstand ich auch, weshalb meine Freundinnen mit noch nicht abgeschlossenen Kinderwunsch davon Abstand nahmen, mir die abgelegten Kleider ihrer Kinder zu leihen.

Ein Thema, das auch immer wieder bei den Vox-Müttern auftaucht, ist der Umgang mit Medien. Das ist natürlich eine Herausforderung, die keine Eltern-Generation zuvor in dieser Art und Weise meistern muss. Gerade wir in den Achtzigern Geborenen haben einen Teil unserer Kindheit ohne PC und Internet verbracht. Den ersten Computer haben sich meine Eltern Mitte der 90er zugelegt, Anfang der Nuller Jahre wurde bei uns ein Internetanschluss installiert, mein ersten Handy bekam ich mit 16 -zugegeben, als letzte in der Klasse- und ein Smartphone besitze ich seit 2011. Meine Eltern hatten bis 1998 keinen Fernseher. In den Genuss des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms kamen wir nur, wenn wir zur Oma rüber gingen. Mein Bruder und ich wurden während unserer Kindheit also weitestgehend vom Medienkonsum ferngehalten. Wenn wir dann jedoch bei meinen Großeltern im fernen Thüringen zu Besuch waren, haben wir unsere Defizite aufgefüllt. Von früh bis spät haben wir uns das volle Programm der Privaten gegeben. Somit war der gute Gedanke meiner Eltern binnen weniger Ferientage zunichte gemacht. Auf die Gefahren des Internet waren meine Eltern hingegen nicht im geringsten vorbereitet. Mit 14 begann ich auf verschiedenen Plattformen zu chatten. Da kein Junge im realen Leben was von mir wissen wollte, suchte ich mein Glück im virtuellen Raum. Das hätte mich beinahe in große Gefahr gebracht, als ich mich auf ein BlindDate mit einem vermeintlich 23 Jährigen verabredete. Wenn meine Freundin D. damals nicht darauf bestanden hätte, mich zu begleiten, läge ich wahrscheinlich irgendwo verscharrt im Wald.

Dagegen mag eine Überdosis Fernsehen geradezu harmlos sein. Jedenfalls bei Jugendlichen. Bei Kleinkindern und Babys scheint Fernsehen jedoch der absolute Super-Gau für die frischen Synapsen zu sein. Abgesehen davon, dass der Fernseher bei unserer Tochter -und so wird es bei allen Kindern sein- die Aufmerksamkeit bündelt und dann keine Ansprache mehr möglich ist, führt die Flimmerkiste in 100% der Fälle bei ihr zu gestörten Schlafverhalten. Natürlich ist das Problem der durchwachten Nächte nicht allein auf das Fernsehen zurück zu führen. Wenn ich aber Lust habe, die Nacht mit einem schreienden Kind zu verbringen, dann brauch ich nur den Fernseher in ihrem Beisein anzumachen. Der „Erfolg“ ist garantiert…

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