Riesensauerei

Bald ist es ein Jahr her, dass sich mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hat, dass ich an die Grenzen meiner Belastbarkeit geraten bin, dass meine Partnerschaft beginnen musste, sich neu zu definieren, dass ich von einer Krise in die nächste gestürzt bin, dass ich begonnen habe, ungeahnte Kräfte zu entwickeln, dass ich Mutter geworden bin.

Die Schlafprobleme haben wir größtenteils hinter uns gelassen….Meistens jedenfalls. Und das ist auch nur eine Momentaufnahme. Wer weiß schon, wie es in einem Monat, einer Woche oder bereits heute Abend aussieht? Aber prinzipiell sind wir routinierter geworden, sodass unser kleiner überspannter Bogen auch mal kleine Veränderungen vom Tagesablauf verkraftet, ohne gleich vor Anspannung zu explodieren. Dafür müssen wir nun neuen „Herausforderungen“ begegnen. Erziehung zum Beispiel. Das kleene Froillein ist eine durchaus gute Esserin und noch dazu durchsetzungstark, wie eh und je. Da bekommt der Ausspruch, sie lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen, gleich eine neue Bedeutung. Selbst vor der Butter der anderen schreckt sie nicht zurück. Das führt regelmäßig zu kleineren Konflikten am Esstisch oder -was ich als äußerst unangenehm empfinde- auf dem Spielplatz. Dort krabbelt sie nämlich gerne zu anderen Familien auf die Picknick-Decken und futtert den Kindern das gute Bio-Obst und die sorgfältig ausgewählten Dinkelkekse weg. Wenn  der Nahrungsstrom unterbrochen wird, quittiert sie das mit einem energischen „Mrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr“ und wenn dann aber nicht sofort für Nachschub gesorgt wird, geht die Sirene an. Ihre Eltern kann sie damit nicht beeindrucken. Wir sind ja schlimmeres gewohnt. Den Spielplatz-Muddis treibt das jedoch den Angstschweiß auf die Stirn und sie werfen dem knurrenden Löwen noch ein weiteres Steak vor, bevor er sich an den Ohren ihrer Kinder satt isst. Als Besitzerin eines fressdummen Labradors kenne ich, welchen Effekt das füttern durch Fremde hervorruft. Nur hätte ich nicht damit gerechnet bei meiner Tochter auf ähnliche Probleme zu stoßen. Zu Hause machen die beiden dann auch noch gemeinsame Sache. Während der Hund viel zu gutmütig ist, uns um des Essen Willens anzuknurren und sich eher durch Penetranz als Aggressivität im Bettelverhalten auszeichnet, übernimmt Madame den kampfeslustigen Part und ergaunert sich so Happen, die sie dann ganz elegant fallen lässt, wo der Hund schon parat steht, sie aufzunehmen. Damit versaut sie mir die jahrelange strenge Erziehung innerhalb einer Mahlzeit. Also wird der Hund zum Essen nach draußen verbannt und Madame kann den Boden mit angelutschten Brot, ausgezutschten Tomaten und durchgekauten Paprika pflastern. Ich mutmaße, dass das Werfen mit Nahrungsmitteln bei meiner Tochter exponentiell mit ihrem Sättigungsgrad zunimmt. Daher wird das Essen nun beendet, sobald das Brot zum dritten Mal fliegen lernt. Trotzdem sieht es hinter her aus, wie nach dem 18. Geburtstag meines Bruders. Im übrigen habe ich meine Ambitionen, dass das Kind von Anbeginn und ausschließlich aus dem Becher lernt zu trinken, über Board geworfen. Das vertage ich mal auf den Sommer. Dann lass ich das Kind den ganzen Tag nackt durch den Garten rennen und am Abend wird sie in der Dusche einfach nur kurz abgespült. Das trinken aus den riesigen schwedischen Cocktailgläsern klappt hingegen ganz ausgezeichnet (natürlich mit Wasser befüllt und nicht mit Caipi). Die krallt sie sich nämlich gerne, wenn wir sie auf dem Wohnzimmertisch nicht abgeräumt haben.

Nun, diesen kleine Sauereien kann ich mit Lappen und Spülmittel begegnen. Gegen die Riesensauerei, dass ich keinen Job finde, bin ich hingegen absolut machtlos. Ich habe das Gefühl, meine Bewerbungen werden gleich auf den „Vernichtungsstapel“ gelegt, sobald die lesen, dass ich in Elternzeit bin. Viele melden sich gar nicht oder erst nach Monaten mit einer Absage. Ich bin bald dreißig und absolut perspektivlos. Als ich begonnen habe zu studieren, wollte ich Wissenschaftsjournalistin werden. Im Bachelor großartig Praktika in einer Redaktion machen oder gar ein Volontariat? Absolut undenkbar. Ich konnte das Prüfungsamt mit Ach und Krach davon überzeugen für 10 Wochen in die USA zu gehen. Auf Nebenjobs mit redaktionellen Hintergrund habe ich mich oft beworben und bin nie genommen worden. Mit Mitte Zwanzig gehörte ich halt schon zum alten Eisen. Mit den ganzen Kindern, die mit 17 oder 18 aus den Schulen an die Unis strömen, konnte ich schon damals nicht mithalten. Die haben sich ja bereits in der Grundschule für irgendein berufliches Profil entschieden, sprechen Englisch wie ihre zweite Muttersprache, haben den halben Erdball als Backpacker bereist als sie gerade laufen konnten und spätestens im Kindergarten ihr eigenes Buch veröffentlicht. Den Traum, vom Schreiben leben zu dürfen, habe ich längst begraben. Selbst als Bloggerin habe ich miserable Klicks. Meine Brigitte-Mom-Likes stagnieren seit Monaten. Aber wen wunderts. Selbst diese Sparte reißen diese großen, schönen, blonden Mütter mit den Katalogkindern, ihren Designerhäusern und skandinavischen Möbeln an sich. Die werden gehypt von der Brigitte-Redaktion. Sind Blog-LIeblinge. Themenmäßig natürlich immer nah dran: Die haben alles. Träge Eileiter, Wochenbettdepressionen, Mütterkoller, Karriereknick, Angst vorm Altern. Hab ich auch. Aber mich liest keiner. Zehn Jahre früher hätte ich mit meiner großen Klappe, Indiskretion und dem Ansprechen von Flüsterthemen noch was reißen können. Mittlerweile ist das Leben weitestgehend enttabuisiert, Charlotte Roche hat die Kotzgrenze um Meilen überschritten und unter dieser Blogschwemme ertrinken selbst die smartesten Ergüsse. An die Oberfläche schaffen es nur jene, die über entsprechende Kontakte verfügen. Da kann ich einfach nicht mithalten und ich habe keine Lust mehr drauf, Dinge zu schreiben, die keinen erreichen. Das ist wie eine Beziehung ohne Sex. Ganz nett, aber nicht annähernd befriedigend.

11 thoughts on “Riesensauerei”

  1. Wag es ja nicht, mit diesem Blog aufzuhören!! 😉
    Nee, im Ernst, ich freue mich immer sehr, wenn es hier etwas Neues zu lesen gibt. Ich mag deinen Schreibstil und da ich ein Kind im selben Alter habe, erkenne ich mich in den ein oder anderen Dingen absolut wieder.

  2. Bitte bitte schreib weiter!
    Du sprichst mir zu 100% aus der Seele mit deinen Storys!
    Ich habe seit November einen Jungen mit den gleichen Eigenarten.
    Ich dachte schon ich wäre zu schwach oder unser Kind hat irgendwas unerklärliches. Dank deines Blogs weiß ich, dass es noch mehr Mamas mit Leidensdruck gibt und fühle mich deshalb nicht mehr so allein und hilflos.
    Gib nicht auf und mach weiter.
    Uns Abonnenten erreichst du jedenfalls 🙂

    1. Ja, ich frage mich heute noch, ob da nicht doch irgendeine Krankheit dahinter steckt. Oder mein perinataler Lakritzkonsum? Aber wahrscheinlich heißt die „Krankheit“ unbändiger (Lebens-)wille 🙂 Vielen Dank für deine Worte!

  3. Hier, mich erreichst du immer! Ganz doll sehr sogar! Wir haben nämlich auch keines dieser wunderlichen Babys, die nie weinen. Unser Terrorkeks weiß auch, sich Gehör zu verschaffen. Und da Eure Madame ein paar Monate älter ist bist du mein lebendes Beispiel dafür, dass ich nicht zwangsläufig in der Klapse landen muss!

    Bitte bitte nicht aufhören hier zu schreiben!

  4. Neneneneeee, hiergeblieben! Bitte höre nicht auf, zu schreiben! Als ehemalige Kinderwunschkandidatin, bekennende Teststreifenbeschwörerin und schlussendlich Mutter zweier zauberhaften Minimenschlein hat mir dein Blog schon über so manche Krise in allen genannten Zuständen geholfen. Du hast eine großartige Art, die mit dem lieben Nachwuchs verbundenen Widrigkeiten zu betrachten und würdest mir wirklich fehlen. Die Machenschaften unserer Töchter ähneln sich übrigens auch verdächtig… (Und es ist mir gottverdammt peinlich, wenn sie auf dem Spielplatz Äpfel schnorrt. Äpfel! Das Zeug taugt in heimischen Gefilden bestenfalls zum Weitwurftraining. Allerdings bevorzugt sie beim Hausiergang über den Stammspielplatz eher die Methode deines Hundes: Davorstehen und anstarren, bis etwas gereicht wird. Wat bin ich froh, meine Erziehungskompetenzen in solchen Momenten dem lautstarkem Zweitbaby zukommen lassen zu können.)

    1. 😀 Ihhhhhh Äpfel! Bei uns genauso. Wenn sie aber woanders einen findet, dann rein damit…und neulich fand der Apfel seinen Weg zurück ans Tageslicht *bäh* Ich danke dir vielmals für die aufbauenden Worte! Liebe Grüße

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